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Ein Pinguin ohne Föhn ist wie die Bahn ohne Pannen
Vorab
Aus Datenschutzgründen sowie aus Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte von Zügen der Deutschen Bahn wurden im nachfolgenden Bericht die Zugnummern geändert. Ich bitte um Ihr Verständnis.
Alle anderen Angaben entsprechen der Wahrheit, auch im Detail.
Wer das Nachfolgende nicht glauben kann, wollte wahrscheinlich noch nie mit der Bahn irgendwo, irgendwann mit irgendwas konkret hin.
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Wir schreiben Freitag, den 10.06.2022
Geplant ist die Fahrt mit der Deutschen Bahn von Dortmund nach Hildesheim. Die Abfahrt ist überraschend pünktlich. Um 12:48 von Gleis 11.
Weil es ein ICE ist, sind 9 Euro- Erlebnisreisende eher nicht zu befürchten. Eine Platzreservierung entfällt somit.
Zugprofis steigen nicht in der Mitte eines Zuges ein, weil die Bahn alle Reservierungen von hier aus setzt.
Dann erlebe ich doch eine Überraschung im vorletzten Wagen: Ups, ziemlich voll hier! Aah, aber da seh ich noch drei freie Plätze an einem Vierertisch. „Guten Tag, ist hier noch frei?“ frage ich den Anzugträger. Beiläufiges Nicken.
Beim Blick auf das ausgebreitete Equipment stellt sich die Frage: Wo bin ich hier, im Großraumwagen oder im Büro?
Der Anwalt, Notar oder Hausverwalter? im gehobenen Karrierealter hat verschiedene Kabel an Geräten, Händen und in den Ohren. Mit durchaus beeindruckendem Stimmvolumen lässt er alle Mitreisenden wissen, dass da ein großes Projekt am laufen ist, das ohne ihn undenkbar wäre und zwar völlig. Klar.
Professionelles Lachen, suggestive Fragen und häufiges Unterbrechen des Teilnehmers am anderen Ende der Leitung unterstreichen seine Meinung über sich selbst.
Würde sich die Welt ohne ihn weiter drehen? Würde dieser ICE ohne ihn fahren? Machen Menschen wie du und ich überhaupt Sinn? Hm.
„In wenigen Minuten erreichen wir Hamm Hauptbahnhof. Unser Zug wird mit einem weiteren gekoppelt. Dazu wird sich unser Zug langsam vor und zurück bewegen. Die Türen bleiben während des Koppelns geschlossen. Wir fahren dann weiter nach Berlin Hauptbahnhof. Der Halt Berlin Ostbahnhof entfällt leider. Wir bitten um Ihr Verständnis.“
13:11
Ankunft in Hamm auf Gleis 5.
Wir ruckeln vor und zurück.
Stille.
Wir ruckeln vor und zurück.
Längere Stille.
Wir ruckeln noch einmal vor und zurück.
Stille.
„Sehr geehrte Fahrgäste, das Koppeln hat bis jetzt nicht funktioniert. Wir probieren es ein weiteres Mal. Bitte haben Sie noch etwas Geduld, vielen Dank.“
Wir ruckeln vor und zurück. Stille.
Am Fenster sehen wir nun einige Mitarbeitende der Bahn vorbeilaufen, einige davon mit orangefarbenen Westen.
Wir ruckeln.
„Sehr geehrte Fahrgäste, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Da es mit dem Koppeln Probleme gibt und wir im Moment nicht wissen, wann unsere Fahrt fortgesetzt werden kann, können Sie in den ICE umsteigen, der auf Gleis 9 noch bereit steht. Der fährt auch nach Berlin. Wir öffnen jetzt kurz die Türen.“
Erstes Entgleisen von Gesichtszügen und Wortbeiträgen.
Im Büro schräg vor mir wird dagegen weiter zielgerichtet gearbeitet.
Dann machen sich einige Reisende mit Koffern und Taschen auf den Weg. Ich bemerke keinen Impuls aufzustehen, was daran liegen kann, dass ich schon sehr viele Jahre Bahnkundin bin.
Wir Zurückgebliebenen können nun Folgendes live mitverfolgen: Genau in dem Moment, als nahezu alle Umsteigewillige Gleis 9 erreichen, verlässt der empfohlene Zug den Bahnhof. Timing wie im Film. Wow. Kannste nicht planen.
Als die Rückkehrer wieder bei uns sind, müssen sie aber keinen neuen Sitzplatz suchen. Wie durch eine unsichtbare Regie choreographiert, setzen sich alle wieder an ihren angestammten Platz. Magisch.
Das Büro hat mittlerweile geschlossen. Weil das Publikum fehlt? Wir werden es nie erfahren. Müssen es auch nicht.
„Ich möchte mich für die eben entstandene Panne entschuldigen. Irgendwie hat es da Kommunikationsprobleme mit den Kollegen gegeben.“
Ach soo. Aber wenigstens haben die Ausflügler ein wenig frische Luft geschnappt, ein Zigarettchen geraucht oder sich nur die Beine vertreten.
Wir warten gespannt auf die nächste Durchsage.
Stille. Nix ruckelt.
Warten.
„Ich muss Ihnen nun leider mitteilen, dass dieser Zug die Fahrt nicht mehr fortsetzen kann. Sie können mit dem IC 4586 von Gleis 8 um 13:50 fahren. Wir entschuldigen uns für die entstandenen Unannehmlichkeiten und wünschen Ihnen dennoch eine gute Weiterfahrt!“
Wir blenden die Dynamik des Aussteigens kurz aus und befinden uns nun bereits auf Gleis 8 in Erwartung des Zuges. Mittlerweile hat eine Art Verbundenheit unter so manch Reisenden eine wohltuende Prise Komik über den Ärger gestreut.
13:45.
„Achtung auf Gleis 8: Intercity 4586 nach Berlin. Aufgrund einer Signalstörung kommt es zu einer Verspätung von ca. 15 Minuten, wir bitten um Verständnis.“
Nun doch wieder Gesichtszüge und Austausch von Wortbeiträgen.
14:00
Aber jetzt, sieh einer an, der Zug fährt ein!
Bei der Platzsuche ergeben sich natürlich neue Probleme. Die Sitzverteilung hat sich verändert, weil neue Teilnehmer hinzugekommen sind und alte bereits sitzen, der Abstand für den ein oder anderen nicht mehr passt usw.
Aber irgendwas ist ja immer.
Keine weiteren Vorkommnisse.
Kurz vor Hannover. Blick auf die Uhr – ach wie schön, jetzt müsste es mit einem Anschluss noch klappen, dann hätte die ganze Fahrt nur eine Stunde länger gedauert.
Die Spannung steigt, Trommelwirbel, noch 6 Minuten Zeit zum umsteigen.
„Wir erreichen nun Hannover Hauptbahnhof. Sie haben Anschluss an den ICE nach…usw.“
Wir sind kurz vor dem Bahnhof. Der Zug stoppt.
Noch 4 Minuten. Die Szene schon mal gedanklich durchspielen – Tasche schnappen, Treppe runter, durch die Bahnhofshalle rennen, Treppe rauf – müsste klappen.
Noch 3 Minuten. Der Zug steht.
Vorbei.
„Tja, jetzt wird das jedenfalls nix mehr mit meinem Anschluss“
Da steht einer auf und fragt: „Soll ich mal einen Witz erzählen?“ Und ich, sehr überrascht: „Ja, aber das muss echt ein Knaller sein, nach der Fahrt bis jetzt.“
Er: „Ist einer. Also – ein Mann und ein Pinguin sind auf dem Weg zum Zoo.“
Ich unterbreche: „Ach ja, diese Art Witze kenn ich. Hat aber den Föhn vergessen stimmts?“ Er lacht und fragt: „Hä, wieso Föhn?“ Und ich: „Na, wegen des Pinguins.“ Und er: „Den merk ich mir.“ Sach ich: “Ich mir auch, danke für den Witz, der war wirklich klasse!“
Diesen famosen Witz hätte ich doch glatt verpasst, wenn ich den Anschluss nicht verpasst hätte.
Und tatsächlich fährt der Zug eine Stunde später pünktlich ab. Und kommt sogar in Hildesheim an!
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Jetzt noch die Rückfahrt zwei Tage später schildern?
Nicht?
Doch, der Vollständigkeit halber und weil es so unglaublich scheint. War aber wirklich wahr!
Ich schwööööre. Bei allen Pinguinen der Welt!
Von Hildesheim nach Hannover fährt es sich sehr pünktlich. Nachteil: Eine unüberschaubare Menge an Reisenden ist im Besitz eines 9 Euro Tickets.
Die Politik eröffnet in den Monaten Juni bis August die Möglichkeit, sich nach zwei Jahren Abstand wieder so richtig nah zu kommen, auch um bei der Gelegenheit sofort festzustellen, wen kann ich riechen und wen nicht.
Die FFP2 Maske aber nicht vergessen! Es gibt ja doch noch viele, die ihre Zähne vor Fahrtantritt nicht putzen.
Während der RE nach Hannover rollt, ploppt die Bahn-App auf: “Der ICE 9876 von Hannover bis Köln um 18:31 fällt aus.“
Pinguine und Föhne sind aus.
Ankunft Hannover.
Blick auf die Anzeigetafel:
„Ersatzzug für ausgefallenen ICE 9876 nach Köln auf Gleis 12.“
Hurra, die Pinguine sind wieder da!
Information auf Gleis 12 um 18:25:
„Der Ersatzzug für ICE 9876 hat eine Verspätung von 35 Minuten. Grund ist eine technische Störung am Zug. Wir bitten um Entschuldigung.“
Ich bestell nie wieder Pinguine!
19:00
„Der Ersatzzug für den ICE 9876 heute auf Gleis 11.“
Laaangweilig! Gleiswechsel für Anfänger – ist ja direkt gegenüber.
19:05
„Gleis 11. Es fährt ein: Der Ersatzzug des ICE 9876 nach Köln über Dortmund und Düsseldorf. Bitte beachten Sie die umgekehrte Wagenreihung. Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges.“
Umgekehrte Wagenreihung. Eine kreatives Spiel der Bahn, um die Flexibilität ihrer Kundschaft am laufen zu halten.
Ok, weiter.
Der Ersatz ist kein ICE, sondern ein IC.
Die Klimaanlage ist ausgefallen, gefühlte 35 Grad.
Ich sag es lieber nochmal: Nichts ist ausgedacht.
Weiter:
Nach einer Stunde Fahrt zufällig von Mitreisenden gehört, dass der Zug doch nicht wie angekündigt über Dortmund, sondern über Hagen und Wuppertal nach Köln fährt.
Der Zugbegleiter auf meine Nachfrage: “Wusste ich selbst nicht“.
Erkenntnis: Ich hätte den Witz mit dem Pinguin lieber bis zu Ende anhören sollen. (=magisches Denken)
Ungeplantes Aussteigen in Bielefeld. Warten auf einen ICE.
15 Minuten Verspätung: Reparatur an einem Signal mit der Bitte um Verständnis.
Dann noch einmal einsteigen, Platz finden ist easy. Weil nicht jeder son langen Atem hat. Aber mit Bahncard 50 lohnt es sich durchzuhalten. Je länger du fährst, um so günstiger wirkt es. Am Ende des Tages fährst du quasi für lau.
Die Klimaanlage funktioniert, wat willste mehr.
Und dann.
Doch!
Dortmund.
„Wir bedanken uns für die Reise mit der Deutschen Bahn und wünschen Ihnen noch einen angenehmen Abend.“
Danke.
Habe fertig.
Ich bitte um Ihr Verständnis.
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Die Deutsche Bahn:
Bei uns hat die Flexibilität unserer Kunden immer Vorfahrt!
Fahren so oft Sie können und so lang wir wollen.
Und wer den Witz mit dem Pinguin zu Ende erzählen kann, bitte umgehend Nachricht an mich.
Is dringend!! Die nächste Fahrt steht an.
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PS. Pannen
Früher: „Wir danken für Ihr Verständnis“
Heute: „Wir bitten um Ihr Verständnis“
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt (früher)
Ein:e Schelm:in, wer:wsie:wes Böses dabei denkt (heute)